Energieberatung nach Norm – besser als nichts, aber im Grunde zu wenig

Energieberatungsleistungen werden zurecht bezuschusst, produzieren aber häufig unbrauchbare Ergebnisse. Wir umreißen die Tücken der klassischen Herangehensweise und zeigen, wie es besser gehen kann, indem man Anlagentechnik-Expertise und reale Daten zur Hilfe nimmt.

Egal ob Sanierung oder Neubau: Ein Variantenvergleich über verschiedene Umsetzungsmöglichkeiten von Anlagentechnik und Gebäudehülle muss jedem Bauvorhaben vorgeschaltet sein. Wie sonst kann für ein Projekt die technisch und wirtschaftlich insgesamt sinnvollste Variante herausgearbeitet werden?

Die Komplexität eines solchen Variantenvergleich nimmt stetig zu: Investitions- und Energiekosten, Fördermittel, zunehmend anspruchsvolle Anlagentechnik und deren Schallemission sowie Lebenszyklusanalysen sind nur einige Parameter, die zur Schaffung einer stimmigen Entscheidungsgrundlage in die Waagschale geworfen werden müssen. Der vorgeschaltete Variantenvergleich in der „Leistungsphase 0“ gestaltet sich damit anspruchsvoll, zahlt sich in der Planungs- und Betriebsphase jedoch mehr als aus. Häufiges Ergebnis: Die in der Herstellung teurere Lösung führt durch z.B. geringere Betriebskosten, höhere Förderzuwendungen und zusätzlichen Nutzerkomfort zum besseren Gesamtpaket, wobei der gesamtgesellschaftliche Nutzen durch CO2-Einsparungen noch gar nicht mitbewertet wurde.

Die Vorteilhaftigkeit eines Variantenvergleichs ist offenkundig, wird aber in frühen Planungsphasen leider immer noch zu häufig als zusätzlicher Kostenfaktor ohne echten Mehrwert angesehen. An dieser Stelle tritt das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) auf den Plan und bezuschusst Variantenvergleiche (früher mal höher, heute eher niedriger) in Form einer Energieberatung nach DIN V 18599. Die Politik hat die Sinnhaftigkeit eines Variantenvergleichs also erkannt – so weit, so gut. Die inhaltlichen Anforderungen an eine geförderte Energieberatung schmälern den Nutzen dieser jedoch erheblich.

Wo liegen die Tücken bei einer Energieberatung nach Norm?

Im Wesentlichen handelt es sich bei der DIN V 18599 um die Berechnungsvorschriften zur Ermittlung des Energiebedarfs eines Gebäudes, die z.B. für GEG-Nachweise oder die Ausstellung von Energieausweisen herangezogen werden. Die Krux liegt dabei im unscheinbaren Wort Energiebedarf, der scharf und eindeutig vom Energieverbrauch eines Gebäudes abzugrenzen ist.

Die Bedarfsrechnung (nach Norm) geht von einem Normnutzer mit einem Normnutzerverhalten in einem Normklima aus. Der skeptische Leser fragt sich an dieser Stelle zurecht, wie so viel Norm ein reales Gebäude mit einer individuellen Nutzung an einem bestimmten Standort erfassen soll – schließlich geht es doch darum, wirtschaftlich fundierte Sanierungsvorschläge abzuleiten. Was instinktiv schon falsch wirkt, soll an dieser Stelle mit ein paar Beispielen untermauert werden, die die Absurdität dieses Vorgehens belegen:

  • Normklima: Gebäudebilanzierung nach Norm verfrachtet das untersuchte Gebäude bilanziell stets ins winterlich eher kalte Potsdam. Aber ist das Einsparpotenzial einer Dämmmaßnahme eines Gebäudes an der eher milden Nordsee nicht viel geringer?
  • Normnutzer: Der Normnutzer mag es warm, und zwar durchgehend und in jedem Raum innerhalb der thermischen Hülle des Gebäudes. Küchen und Schlafzimmer von Wohngebäuden werden z.B. genau so warm beheizt wie Wohnzimmer. Dass ein Raum während der Heizperiode mal gar nicht geheizt wird, kommt nicht vor. Ist das nach Norm ausgewiesene Einsparpotenzial einer Dämmmaßnahme damit, verglichen mit der tatsächlichen Beheizung des Gebäudes, nicht viel zu hoch?
  • PV-Eigenstromnutzung: Das Rechenverfahren nach Norm berücksichtigt ausschließlich Stromverbräuche, die auf den anlagentechnischen Betrieb des Gebäudes zurück gehen (Lüftung, Heizung, Kühlung…). Die Eigenstromnutzung einer PV-Anlage und damit auch unmittelbar ihre Wirtschaftlichkeit kann jedoch nur unter Berücksichtigung sämtlicher Stromverbräuche des Gebäudes, bestehend aus Betriebsstrom und Nutzerstrom, bewertet werden. Grund hierfür sind die Gleichzeitigkeiten und sich addierenden elektrischen Leistungen verschiedener Verbraucher. Das Normverfahren macht es sich an dieser Stelle viel zu einfach und berücksichtigt nur einen kleinen Teil des für eine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung maßgeblichen Stromverbrauchs.
  • Realitätsnahe Abbildung von Wärmepumpen: Komplexe Heizungshydrauliken, die bei Wärmepumpen eine enorm verbesserte Jahresarbeitszahl ermöglichen, sind bei Gebäudebilanzierungen nach Norm nicht abbildbar. Hierdurch wird, v.a. bei bivalenten Anlagen aus Gaskessel und Wärmepumpe, ein viel zu hoher Stromverbrauch bei häufig zu geringen Deckungsanteilen der Wärmepumpe ausgegeben.

 

Die Liste der Unzulänglichkeiten einer Gebäudebilanzierung dieser Art ließe sich weiter fortführen und weist immer in dieselbe Richtung: Das Einsparpotenzial von Maßnahmen am Gebäude lässt sich mithilfe einer Energieberatung nach Norm bestenfalls tendenziell abbilden. Der einzig korrekte Ansatz für eine fundierte Ermittlung von Energie- und CO2 -Einsparungen ist stattdessen der Bezug auf den tatsächlichen Verbrauch des Gebäudes, der beispielsweise im Falle von Sanierungen auf die Verbrauchsabrechnungen vergangener Jahre abstellt und bestenfalls auf messtechnisch einzeln erfasste Energieströme (z.B. durch Monitoring oder GLT-Aufzeichnungen) dezidiert zurückzuführen ist.

Die Auswertung dieser Informationen zur Erarbeitung einer realen Verbrauchsbilanz ist zwar wesentlich anspruchsvoller als das stupide Aufstellen der Bilanz „nach Norm“, ermöglicht jedoch eine viel präzisere und v.a. individuelle Abbildung der Einsparpotenziale. Weiterer positiver Nebeneffekt: Die Durchleuchtung der realen Verbrauchsbilanz eines Gebäudes deckt häufig enorme Einsparpotenziale auf, die bereits durch simple Anpassungen von Laufzeiten oder Leistungsstufen aktivierbar sind und damit bereits vor oder sogar ohne Baumaßnahme vor Ort erzielbar sind. Schneller und einfacher kann sich eine Energieberatung nicht auszahlen.

Verliert die Energieberatung nach Norm damit ihre Daseinsberechtigung? Nein, denn ein solches Beratungsinstrument ist besser als nichts. Beratende und Beratene müssen aber unbedingt im Auge behalten, dass den Ergebnissen, v.a. wenn es um die Wirtschaftlichkeit geht, nicht blind getraut werden kann.

Hierzu ein reales Beispiel aus unserem Beratungsalltag:

Ein großes Bürogebäude mit ca. 13.000 m² Nettogrundfläche weist einen tatsächlichen Wärmeverbrauch von 1,3 Millionen kWh Fernwärme auf. Die Berechnung nach DIN V 18599 kommt hingegen zu dem Ergebnis, dass der Wärmebedarf (ermittelt nach Norm) bei 2,2 Millionen kWh liegt. Nach normgerechter Erfassung aller am Gebäude geplanten Sanierungsmaßnahmen beträgt das Einsparpotenzial 1,5 Millionen kWh Wärme und liegt damit deutlich über dem tatsächlichen Verbrauch. Die Wirtschaftlichkeit der Maßnahmen wird damit deutlich überschätzt. Das Beratungsergebnis ist, vorsichtig ausgedrückt, unbrauchbar.

Bei Wortmann & Wember verfolgen wir daher folgenden Ansatz: Energieberatungen und Variantenvergleiche beinhalten stets mindestens die Betrachtung realer Verbrauchsgrößen. Dies erfordert, v.a. in Bezug auf die Gebäudetechnik, Knowhow und Werkzeug, das im Arsenal des klassischen Energieberaters nicht zu finden ist. Im Fall des beschriebenen Bürogebäudes kamen so unter anderem folgende Methoden zum Einsatz:

  • Untersuchung des Stromlastgangs: Der aufgezeichnete Stromlastgang wurde, unterteilt nach Werk- und Wochenendtagen, für das Gebäude ausgewertet und die so aufbereiteten Rohdaten für eine exakte solarenergetische Simulation verwendet. Hierbei zeigte sich, dass selbst bei einer PV-Anlagengröße von 115 kW der selbsterzeugte PV-Strom noch zu 100 % selbst genutzt werden kann. Die Amortisationsdauer der PV-Anlage liegt damit in der Realität weit unter dem nach Norm ermittelten Fantasiewert.
  • Ermittlung der Jahresarbeitszahl (JAZ) anhand präziser Wetterdaten: Herzstück vieler unserer Betrachtungen ist ein selbstentwickeltes Tool, mit dem postleitzahlgenau die erwartbare Jahresarbeitszahl einer Wärmepumpenanlage prognostiziert werden kann. Dabei gehen wir sogar noch einen Schritt weiter als die Rechentools der Wärmepumpenhersteller, indem wir besonders vorteilhafte Hydraulikkonzepte, z.B. den Einsatz von Bivalenzmischern, angemessen berücksichtigen können. Im konkreten Fall konnte auf diese Weise ein um 60.000 kWh geringerer Heizstrombedarf einer bivalenten Anlage prognostiziert werden, welcher sich als wesentlich für die Wirtschaftlichkeit der Variante herausstellte.

 

Wo immer sinnvoll, ergänzen wir die Entscheidungsgrundlage auf Basis der Verbrauchsrechnung um eine parallele Betrachtung von Bedarfsgrößen nach Norm. Dies ist häufig bei der Projektierung von KfW-Effizienzgebäuden der Fall. Beratende erhalten damit das Beste aus beiden Welten: Belastbare Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen, kombiniert mit Normgrößen, wie diese häufig für die Antragstellung von Förderanträgen benötigt werden.

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